OMV-Bundesvorstandssitzung am 19. Oktober 2015 in Berlin

21.10.2015

OMV erörtert deutsch-polnisches Verhältnis

Einen besonderen Gast konnte der Bundesvorstand der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU/CSU (OMV) – Union der Vertriebenen und Flüchtlinge – am 19. Oktober 2015 im Berliner Konrad-Adenauer-Haus erleben: Auf persönliche Einladung des OMV-Bundesvorsitzenden Helmut Sauer (Salzgitter) war der emeritierte Oppelner Erzbischof Prof. Dr. Alfons Nossol gekommen, um den Bundesvorstandsmitgliedern zur aktuellen Lage im deutsch-polnischen Verhältnis zu berichten und dabei auch Stationen der Versöhnung zu thematisieren.

In seiner Begrüßung des Erzbischofs ging Sauer – beide langjährige Duzfreunde – auf den besonderen Rückhalt ein, den Nossol bei fast allen oberschlesischen Landsleuten genießt. Als beispielsweise bekannt wurde, dass der Heilige Vater Nossol 1999 zum Erzbischof ernennen wollte, habe es zwar von polnischen Nationalisten Graffiti-Schmierereien gegeben, mit denen gefordert wurde: „Nossol nach Berlin!" Oberschlesische Landsleute jedoch hätten dahinter geschrieben: „Um für uns Medizin zu holen!" Erzbischof Nossols fortwährender Einsatz für die lange verbotene „Sprache des Herzens" – Deutsch – habe ihm nicht nur Freunde eingebracht, jedoch bestehe seine große Gabe darin, stets auch Gegner versöhnen zu können. Nicht hoch genug einzuschätzen sei die Wiederauflage des deutsch-polnischen Gebet- und Gesangbuches „Weg zum Himmel" („Droga do Nieba"), des deutschsprachigen Orgelbuches eigens für die deutschen bzw. zweisprachigen Gottesdienste, die unter Nossol in der Diözese Oppeln wieder eingeführt worden seien, sowie eines kindgerechten Gebetbuches. Wie populär der emeritierte Erzbischof ist, habe der bis auf den letzten Platz gefüllte Hildesheimer Dom anlässlich der Hedwigswallfahrt am 18. Oktober 2015 gezeigt, bekräftigte der OMV-Bundesvorsitzende.
Alfons Nossol bedankte sich für den herzlichen Empfang und begann seine Ausführungen frei nach Andreas Gryphius mit Grüßen aus Schlesien – „dem Lande des denkenden Herzens und des liebenden Verstandes". 50 Jahre sei es nunmehr her, dass die polnischen Bischöfe den „Hirtenbrief an ihre deutschen Amtsbrüder" verfasst hätten, in dem sie Vergebung gewährt, aber auch um Vergebung gebeten hätten. Dies habe in Polen zu einem Eklat geführt, da das kommunistische System keinen Grund für eine „Bitte um Vergebung" gesehen habe. Den Bischöfen sei geradezu Hochverrat unterstellt worden. Erst die Wallfahrt von mehreren hunderttausend Gläubigen zur Madonna nach Tschenstochau am 3. Mai 1966 anlässlich des 1000-jährigen Jubiläums der Christianisierung Polens habe diese Situation entspannen können. Kardinal Stefan Wyszynski habe damals gefragt: „Vergeben wir, oder vergeben wird nicht?" Nach kurzem abgrundtiefem Schweigen habe die einstimmige Antwort „Wir vergeben!" gelautet. Damals, so Nossol, hätten die polnischen Gläubigen sich erstmals deutlich vom Kommunismus ab- und der Versöhnung zugewandt. Weitere wichtige Schritte im kirchlichen Bereich seien das Wirken Johannes Paul II. und später Benedikt XVI. gewesen.

Als Bundeskanzler Helmut Kohl im November 1989 bei der von Bischof Nossol geleiteten „Versöhnungsmesse" in Kreisau mit dem polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki und dem aus Ratiborhammer/Oberschlesien stammenden Abt von Maria Laach Dr. Adalbert Kurzeja OSB zusammengekommen sei, hätten erstmals seit Jahrzehnten deutsche Wimpel und Fähnchen die Straßen und Wege gezäumt. Nossol berichtete vom im Gottesdienst ausgetauschten Friedensgruß des Bundeskanzlers Kohl und des Ministerpräsidenten Mazowiecki. Dieses Zeichen habe viel dazu beigetragen, die beiden Länder einander wieder näherzubringen.

Heute hätte sich das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland weitgehend stabilisiert und sei von gegenseitigem Respekt geprägt. Die deutsche Volksgruppe in Polen könne sich auf eine Minderheitengesetzgebung berufen. Gute Verbandsstrukturen, die Eichendorff-Bibliothek in Oppeln (Prälat Wolfgang Globisch und Pfarrer Dr. Peter Tarlinski), zweisprachige Ortsschilder, die Goethe-Schule in Krakau und auch die „Miro"-Fußballschulen – wie der OMV-Bundesvorsitzende Sauer ergänzte – seien Beispiele dafür, dass die Deutschen ihre Identität leben könnten und Polen seine Deutschen unterdessen als kulturelle Bereicherung begreife. Dennoch seien weitere Verbesserungen im politischen und kulturellen Bereich anzustreben, insbesondere in Fragen der Erziehung und Ausbildung. Insbesondere Schlesien komme bei der Verständigung zwischen den Ländern eine Brückenfunktion zu: Es liege zwischen Ost und West und vereinbare so die Gegensätze zwischen Emotionalität und Rationalität, erklärte Erzbischof Nossol zum Ende seines Vortrages und nahm damit das Gryphius-Zitat aus der Einleitung wieder auf. Abschließend dankte er auch seinem Nachfolger im Bischofsamt Prof. Dr. Andrzej Czaja sowie dem Gleiwitzer Bischof Prof. Dr. Jan Kopiec für deren Versöhnungsarbeit.

Geschlossen würdigte der OMV-Bundesvorstand das Wirken des langjährigen Oppelner Bischofs und dankte für die Arbeitseinblicke. In einer lebendigen Diskussion wurden weitere Versöhnungssymbole zwischen Deutschland und Polen zur Sprache gebracht – wie etwa der Kniefall Willi Brandts im Warschauer Ghetto. Aber auch zu aktuellen politischen Themen tauschte man sich aus: So antwortete Nossol auf die Frage nach den Konsequenzen eines PiS-Sieges bei der Parlamentswahl in Polen mit der Empfehlung, die etwaige neue Regierung zunächst gewähren zu lassen. Auch in der PiS habe es zumindest in Teilen einen Reife-Prozess gegeben. Selbst die Ängste innerhalb der deutschen Volksgruppe hielten sich in Grenzen. Leise Kritik übte der Erzbischof an der Abwicklung der Vertriebenenseelsorge durch die Katholische Kirche in Deutschland: Hier hätte menschlicher und zugewandter gehandelt werden können. Befragt zur aktuellen Flüchtlingslage in der Welt und dem Kurs Deutschlands antwortete Nossol mit Zuspruch, es müsse aber noch mehr Einsatz dafür gezeigt werden, die Fluchtursachen zu bekämpfen – auch über Europa hinaus. „Mit rein menschlichen Mitteln schaffen wir es nicht", gab er zu bedenken, „aber wir müssen es schaffen wollen!"