Gemeinsam mit einer rund 40-köpfigen Delegation des Landesverbandes des Bundes der Vertriebenen (BdV) in Niedersachsen besuchte der Bundes- und niedersächsische Landesvorsitzende der Ost- und Mitteldeutschen Vereinigung der CDU/CSU (OMV) Helmut Sauer (Salzgitter) als Landesvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien in Niedersachsen Mitte Oktober Prag.
Geleitet wurde die Delegation vom Leiter des Sudetendeutschen Büros in der Tschechischen Republik Peter Barton sowie dem Landesvorsitzenden des BdV Niedersachsen Oliver Dix. Trotz der Bezirks- und Senatswahlen war es Barton gelungen, zahlreiche tschechische Politiker als Gesprächspartner zu gewinnen.
Beide Delegationsleiter betonten in den Gesprächen, dass die politische Verständigung zwischen den Ländern unbedingt vorangetrieben werden müsse. Barton machte deutlich, dass es im direkten Dialog zwischen Vertriebenen und Einheimischen zwar bemerkenswerte Fortschritte gebe, gerade im politischen Bereich jedoch viel Nachholbedarf herrsche. Dix erklärte wiederholt, dass Geschichte Verpflichtung sei, auch für die Nachkommen. Es müsse jetzt darum gehen, die Traumata der Vergangenheit aufzuarbeiten und die verletzten Seelen der Betroffenen zu heilen. Dazu seien die Vertriebenen als natürliche Brückenbauer in ihre Heimatgebiete in besonderem Maße geeignet.
In der Deutschen Botschaft berichtete der Gesandte Dr. Ingo von Voss über die Arbeit seiner Institution und ging dabei auch auf die aktuelle politische Lage in der Tschechischen Republik ein. Als die Rede auf Fragen der Verständigung zwischen Sudetendeutschen und Tschechen kam, räumte von Voss ein, vielerorts herrsche bereits die Sichtweise, dass damals die „Landsleute deutscher Zunge verjagt wurden". Deswegen sei die Vertriebenenproblematik heute präsenter und werde durchaus auch wissenschaftlich aufgearbeitet. Dennoch halte er eine grundsätzliche Veränderung im Umgang mit den Kernthemen der Vertreibung erst in der Zukunft für realistisch. In Verlegenheit brachte Sauer den deutschen Diplomaten, als er auf Aktivitäten der Republik Österreich zu Gunsten der Sudetendeutschen gegenüber der Prager Regierung hinwies und konkret bohrte, warum es hier keine gemeinsamen Aktionen gäbe.
Im Grünen Salon des Kolowrat-Palais sprach die Delegation mit Senator Vaclav Koukal, dem Fraktionsvorsitzenden der christdemokratischen KDU-CSL, und Michaela Marksova-Tominova, der sozialdemokratischen CSSD-Schattenministerin für Menschenrechte.
Senator Koukal wies zunächst auf die Geschichte der Räumlichkeiten hin: Genau in diesem Salon hatte die damalige tschechoslowakische Regierung 1938 die Ergebnisse des Münchner Abkommens erfahren. Im Hinblick auf die Anwesenheit der Sozialdemokratin Marksova-Tominova erläuterte er, dass Christ- und die Sozialdemokraten im tschechischen Parlament durch die klare pro-europäische Ausrichtung und die soziale Verantwortung verbunden seien. Aus seiner Biographie berichtete Koukal, dass Begegnungen mit Sudetendeutschen für ihn bereits seit der Kindheit zur Selbstverständlichkeit gehörten und ihn überzeugt hätten, dass den Vertriebenen ein großes Unrecht geschehen sei. Seiner Partei sei klar, dass die Sudetendeutschen ein fester Bestandteil des Landes seien. Nun müssten die alten Wunden geheilt und ein Weg zur Verständigung gesucht werden.
Ministerin Marksova-Tominova verdeutlichte ihren politischen Standpunkt bezüglich der Vertreibungen insbesondere an ihrem Besuch des Sudetendeutschen Tags 2012 in Nürnberg, der für sie eine große Bereicherung gewesen sei. Mit Bestürzung habe sie die tschechische TV-Übertragung an diesem Tag beobachtet und sich an einer groß angelegten, überparteilichen Beschwerde gegen die Darstellung beteiligt, in welcher der Termin des Heimattages mit dem Heidrich-Attentat in Verbindung gebracht wurde. Zukünftig wolle sie die Interessen der deutschen Vertriebenen noch mehr zur Geltung bringen.
Der OMV-Bundesvorsitzende Sauer brachte bei der Begegnung auch aktuelle Fragen zur Sprache: So erkundigte er sich nach der Situation der Sinti und Roma, die in der tschechischen Republik unter einer fortschreitenden Ghettoisierung und unter fortwährenden populistischen Ausbrüchen in der Presse, aber auch in den Parteien zu leiden hätten. Beide Politiker bestätigten die Problematik und erklärten, dass hier gleichermaßen öffentliche Aufklärung und Integrationsanstrengungen nötig seien.
Im Fraktionssaal der Partei TOP 09 im Abgeordnetenhaus kam die Delegation mit der Leiterin der Außenabteilung der Partei Lenka Koudelkova und der Beauftragten für die Beziehungen mit deutschsprachigen Ländern Terezie Radomerska zusammen.
Radomerska kennzeichnete ihre Partei, deren bekanntester Vertreter der tschechische Außenminister Karl Fürst zu Schwarzenberg ist, als konservativ mit europäischen Idealen und meinte speziell zu den deutsch-tschechischen Beziehungen: „Wir sind zwar Tschechen und Deutsche, aber wir sind immerhin Europäer. Ein Europa aus lauter einzelnen Ländern ist zu klein für diese Welt." Auch im Hinblick auf die sudetendeutsche Problematik „sollen keine Wände mehr zwischen uns stehen." Ein Fortschritt bei der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit sei die angestrebte Restitution des Kircheneigentums, die auch von der TOP 09 unterstützt werde. Sauer vereinbarte ein weiteres Treffen beim CDU-Bundesparteitag Anfang Dezember in Hannover mit Lenka Koudelkova.
Im Prager „Haus der nationalen Minderheiten" traf die Delegation auf den Träger des Sudetendeutschen Karlspreises, den Journalisten Petr Uhl, seinen Sohn, den tschechischen Grünen-Politiker Michal Uhl und die Vorsitzende des Kulturverbandes der Deutschen in der Tschechischen Republik Irene Nowak.
Michal Uhl beschrieb seine Partei als frei von den ideologischen Zwängen der Vergangenheit. Somit pflege sie sehr freundliche Beziehungen zu den Sudetendeutschen und weise einen grundsätzlichen Unterschied in Verständnis und Wahrnehmung der Vertriebenenpolitik zu den deutschen Grünen auf. Scharf kritisierte er den tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Klaus, der wegen der Benes-Dekrete für die Tschechische Republik eine Ausnahme von der Europäischen Grundrechtscharta erwirkt hatte, und sagte wörtlich: „Ich bin der Meinung, dass das Verhältnis der tschechischen Regierung zu den Sudetendeutschen mehr über uns sagt, als über die Sudetendeutschen." Uhl betonte, es müsse endlich klar werden, dass Versöhnung und Verständigung keine Eigentumsforderungen beinhalte. Daher sei seine Partei dafür, die Benes-Dekrete abzuschaffen, die öffentliche Aussprache über das Thema voranzubringen und sämtlichen Menschen, die auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik geboren wurden, die tschechische Staatsbürgerschaft anzubieten. Uhl zeigte sich überzeugt: „Die Benes-Dekrete werden aufgehoben. Die Frage ist nicht ob, sondern wann."
Petr Uhl schilderte seine Eindrücke aus der Begegnung mit Bundespräsident Joachim Gauck bei dessen kürzlichem Prag-Besuch und berichtete, er habe die Vertreibungsproblematik direkt angesprochen und Gauck deutlich gemacht, dass die tschechische Gesellschaft eine selbstkritische Diskussion darüber brauche. Der Bundespräsident habe sich aufgeschlossen gezeigt und zugesichert, das Thema bei nächster Gelegenheit in den zwischenstaatlichen Dialog stärker einzubringen.
Im Rahmen des Besuches einer Messe in der katholischen Kirche St. Johannes am Felsen, die der Gemeindepfarrer, der Redemptoristenpater Martin Leitgöb CSsR feierte, kam es zu einer spontanen Begegnung mit dem österreichischen Botschafter Ferdinand Trauttmansdorff. Dieser versicherte der Delegation sein Interesse an der und seinen Einsatz für die Vertriebenenthematik. Helmut Sauer und Pater Leitgöb stellten fest, dass Sie zahlreiche gemeinsame Freunde im Redemptoristenorden sowohl in Österreich wie in Deutschland hatten.
Sämtliche Gesprächsteilnehmer und die Delegation bekräftigten beständig, dass nur der Weg von Wahrheit und Verständigung der Weg in die Zukunft sein könne. Das Trennende dürfe nicht beschönigt oder verschwiegen werden. Gleichzeitig aber müsse am Guten und Positiven festgehalten werden, um weitere Kontakte mit dem Ziel eines gerechten Ausgleichs zwischen Sudetendeutschen und Tschechen aufzubauen.
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